Montag, 26. April 2010


Verzweifelt war er, der Regierungskommissar für die linksrheinischen Gebiete, Marquis, so verzweifelt, dass er am 17. Germinal des Jahres VII. seiner Verzweiflung freien Lauf ließ. Er faßte sich ein Herz und schrieb an seinen Vorgesetzten den französischen Justizminister Lambrecht. Um den Räubereien und der Gesetzlosigkeit Herr zu werden forderte er den Aufbau einer Geheimpolizei.
Im Department Donnersberg erließ man sogar einen Aufruf: "Verschiedene Berichte geben uns die Gewißheit, daß sich in mehreren Teilen des Departements Räuberbanden befinden, und daß sich dieselben nicht nur damit begnügen, Brandbriefe einzuwerfen, sondern daß sie schon wirklich in den Zuchtpolizey-Gerichtsbezirken von Zweybrücken und Kaiserslautern Feuer angelegt haben, wodurch einige Häuser verzehrt worden sind. Das Wohl unsrer Verwalteten, ihre Ruhe, die Sicherheit ihrer Personen und ihres Eigenthums sind für uns zu kostbare Pflichten, als das wir nicht alles, was in unsrer Gewalt ist, anwenden wollen, um diese Plage der Verwüstung in der Geburt zu ersticken, seine Verbreitung zu verhindern, und jene meuschelmörderischen Horden, welche Verstörung, Schrecken und Tod in den Seelen der friedlichen und arbeitssamen Landbewohner bringen, auszurotten."
Ja, Maßnahmen mußten ergriffen werden. Aber was die Donnersberger und selbst Maquis nicht wußten war, dass Paris bereits reagiert hatte: Der Geheimagent war unterwegs, auch wenn sein Name der Geschichte verdeckt blieb (soweit die Geschichte; alles nachzulesen bei Scheibe, Schinderhannes S. 100 f. ).
Der Geschichte ... aber nicht meiner Geschichte.
Es war am späten Nachmittag des 20. Juli 1799, als Pierre Socud in das Polizeipräsidium in Paris bestellt wurde. Socud wußte nicht genau, warum er dorthin beordert wurde. Aber selbstsicher wie er war, schritt er eiligen Schrittes seinem wichtigen Termin entgegen. Er hatte Gerüchte gehört, dass er dem neuen Polizeiminister Fouche vorgestellt werden sollte. Dies hatte ihm sein Vorgesetzter noch missmutig nachgerufen. Doch an diesen Neid war er gewohnt. Immerhin hatte er mit seinen 29 Jahren schon einiges erreicht. Die Revolution hatte ihn vom Land in die Hauptstadt geschwemmt; dort hatte er sich schnell durch die schnelle Bekämpfung jedweder Feinde der Republik einen Namen gemacht. Die Effektivität, die er dabei an den Tag legte, und von deren genaueren Umständen eigentlich niemand genaueres wissen wollte, hatte ihn alles überleben lassen. Die kritischen Anfänge der Revolution, genau wie die Zeiten des Jakobinerterrors und jetzt auch die des Direktoriums. In der letzten Zeit war es allerdings ruhiger geworden, und Socud fühlte sich gelangweilt.
Fouche stand vor einem großen Schreibtisch in einem prachtvollen roten Rock mit einer großen weißen Schärpe. Als Socud den Raum betrat drehte er sich um. "Sie sind also dieser effektive Mann, von dem mir schon soviel erzählt wurde", eröffnete Fouche das Gespräch. " Nehmen sie doch Platz und erzählen sie mir etwas über sich".
Socud fand Fouche sympatisch und er merkte, dass er diesen Mann als Vorgesetzten akzeptieren könnte. Fouche strömte Macht aus. Macht wie Socud sie liebte. Macht, die im Verborgenen wirkte, die Menschen erzittern ließ, die dunkel, mystisch und plötzlich aus dem Nichts hervortreten konnte. Nicht diese plumpe Macht des Militärs, das er insgeheim verabscheute.
Nachdem er dem Minister seine Geschichte erzählt hatte, nickte Fouche bestätigend mit dem Kopf.
"Ich denke Sie sind der Richtige", begann er, "und ich werde ihnen jetzt erzählen, wo ihr nächster Auftragsort liegt." Fouche drehte sich zu seinem Schreibtisch und der etwas kurzsichtige Socud sah, dass dort eine Karte lag. Eine Karte der neuen Departments im Osten, der Departements am Rhein und in diese Karte waren kleine rote Fahnen gesteckt, die sich an Nadeln befanden. Diese roten Fahnen waren an der Moselmündung und etwas weiter westlich am stärksten. Socud las Namen, von denen er bisher noch nie etwas gehört hatte. Bingen, Simmern, Bad Kreuznach, Kirn, Idar Oberstein, ja und Mainz, dass er schon kannte.
Nachdem Fouche geendet hatte, wußte Pierre Socud, was zu tun war. Er lächelte als er die Treppe am Polizeipalast herunterschritt und die letzten Worte von Fouche klangen noch wohltuend in seinem Ohr:
"Sie haben mit diesen Papieren, die ich ihnen mitgebe, alle Freiheiten. Ich betone: Alle Freiheiten. Nutzen sie sie."
Und eines wußte Socud. Er würde sie nutzen. In seiner ganz speziellen Art. Lächelnd zückte er seinen Notizblock und schrieb einen Namen hinein: Bückler.