Montag, 26. April 2010


Als Socud in Mainz ankam, erwarteten ihn bereits die Präfekten der linksrheinischen Departements. Socud hatte bei seiner Abreise aus Paris Depeschenreiter in die Hauptstädte, nach Koblenz, Mainz und Trier schicken lassen. In diesem Schreiben waren die Präfekten aufgefordert worden sich ohne Umschweife in Mainz im Osteiner Hof einzufinden. Joseph Bexon d'Ormschwiller hatte die weiteste Anreise, Jeanbon de St. Andre die kürzeste. Ersterer hatte sogar freiwillig den Umweg über Koblenz gewählt, um mit seinem Amtskollegen Philippe Boucqueau zu reisen. War ihm doch der Weg über den Hunsrück einfach zu gefährlich. Die dort marodierenden Räuber stellten eine ernste Gefahr da.
Als Socud den Osteiner Hof betrat wurde er von einem Amtsdiener in Empfang genommen, und in den Festsaal geführt, der sich in dem rund vorspringenden Mittelrisaliten befand, dessen Balkon einen herrlichen Blick auf den direkt davor liegenden Platz und die ihn umgebenden Barockhäuser freigab. Aber für so etwas hatte Socud keinen Blick. Selbstbewußt betrat er den Raum, schaute in die Runde und ergriff sofort das Wort, ohne dass einer der Präfekten auch nur den Hauch einer Chance hatte, ihn zu begrüßen.
„Ich will es kurz machen“, begann er, „ ich bin zu einem bestimmten Zweck hier; und dieser bestimmte Zweck ist nunmehr Ruhe in diese Region zu bringen. Was bitte meine Herrn soll das mit diesen Wegelagerern und Räubern, denen sie nicht einmal wagen die Stirn zu bieten ? Sind Sie die Repräsentanten der Republik ? Haben Sie nicht die polizeiliche Gewalt in Ihren Händen ? Haben Sie nicht die Mittel Maßnahmen zu treffen? Mir scheint es nicht. Vielmehr musste ich sogar hören ...“, und dabei sah Socud D’Ormschwiller an, „dass selbst ein Repräsentant der französischen Republik einen Umweg nehmen musste, weil er sich vor diesen Räubern fürchtet!“ Der Präfekt aus Trier schaute betraten nach unten, aber auch seine beiden Kollegen entschieden sich besser zu schweigen. Denn wenn Socud sogar dass schon wußte, wer weiß, was ihm sonst noch nähergebracht worden war.
„Nun denn“, setzte Socud wieder ein, „dem wollen wir ein Ende setzen, und am Anfang werden wir Maßnahmen treffen, die vielleicht unpopulär wirken werden. Aber dies ist mir egal. Wir müssen die Segnungen, die Gedanken und das Recht der französischen Republik auch in diesen Landesteil Frankreichs hinein tragen, und alle, die uns dabei im Wege stehen müssen bekämpft werden. Vor allem dieser Bückler ... Erzählen Sie mir bitte mehr über diesen Herrn“, wandte sich Socud an die Präfekten. „Ich liebe es meine Feinde zu kennen.“
In den anschließenden Stunden erfuhr Socud sehr viel. Viele Gerüchte, aber auch viele Tatsachen, viele Geschichten, viele Anekdoten, aber langsam stieg in ihm ein Bild auf von dem Mann, der sich benahm, als ob ihm die Welt gehöre. Als ob er der Nachfolger der Kurfürsten in diesem Gebiet sei. Als ob er das Recht neu definieren könne. Er, Johannes Bückler, den seine Kumpane den Schinderhannes nannten.
Am Ende der Sitzung diktierte Socud einen Befehl, der nunmehr in allen Departements veröffentlicht wurde. Laut diesem Befehl sollten Bürgerwachen errichtet werden, Diese sollten Streifzüge durchführen „um die Straßenräuber zu schrecken und auszurotten. Von allen Seiten angegriffen, verjagt aus einem Schlupfwinkel in den anderen, vertrieben aus einem Canton in den anderen, überall und ohne Unterlaß verfolgt und nirgends sicher, dem nachspürenden Auge der bürgerlichen und Militairepolicey zu entgehen, werden sie bald von selbst den Boden der Republik von ihrer verhaßten Gegenwart reinigen.“ (zitiert bei Scheibe, a.a.O.)
Besonders auf den letzten Satz war Socud sehr stolz, zeigte er doch seine tiefsten inneren Gefühle.


Hier das Bild einer solchen Bürgerwache.